Das, was mir als erstes einfällt, wenn ich an ihn denke, noch vor seinem Gesicht mit den buschigen Augenbrauen, den großen braunen Augen und dem unverwechselbaren Vampirgrinsen, ist seine Stimme. Eine Stimme, aus der man jede einzelne gerauchte Zigarette heraushörte, die er sein Leben lang geraucht hat. Seine bedächtige Art, Worte zu formen, hätte im Alter leicht zur Annahme verführen können, er sei etwas tattrig und geistig nicht mehr ganz so agil wie früher. Aber was er sagte, war immer gut überlegt, witzig und weise. Auch noch mit über 80 Jahren. Er war mein Großonkel, nicht einmal mit mir verwandt, und mir doch mehr Vorbild als viele Menschen, die ich öfter sah, von denen ich mehr wusste, die mit mir mehr gemeinsam hatten. Seine Frau - meine Lieblingsgroßtante - liebte er abgöttisch, und seit sie vor zwei Jahren gestorben war, schien auch er nicht mehr so richtig Lust zu haben, weiterzumachen. Tagelang sah man ihn vor dem Friedhof sitzen. Traurig und resigniert. Das hätte sie nie gewollt, sie, die Frohnatur, die ihn noch gefragt hatte, ob er es bereute, sie geheiratet zu haben, bevor sie starb. Sie hatte sich von ihm verabschiedet, sich vergewissert, dass sie alles richtig gemacht hatten. Er hatte nicht mehr die Zeit dazu, die Leute zu fragen, die ihm am nächsten standen. Aber er hat alles richtig gemacht. Wer so viel ehrliche Zuneigung, Respekt und aufrichtige Trauer hinterlässt, auch im Herzen derer, die ihn nicht so gut kannten, war ein guter Mensch. Ciao zio, du hinterlässt große Fußstapfen, aber wir können alle versuchen, dir ein Stück weit darin zu folgen.
Das neue Jahr fing mit einer Liebeserklärung per SMS von einem gewissen Mister C an. Mister C wurde von mir für mein Buch interviewt, will heißen, ich hatte mich eine halbe Stunde mit ihm unterhalten - im Beisein seiner Mutter. In ungefähr zwölf SMS teilte er mir nun (wortwörtlich) mit, dass ich seine einzige wahre Liebe sei, er auf mich warten, den Rest seines Lebens mit mir verbringen und Kinder in die Welt setzen würde. Mister C hat seit einem Unfall vor drei Jahren einen Hirnschaden, was vieles, aber auch nicht alles entschuldigt.
Hektisch startete ich in den Februar, der umzugsbedingt einiges an Arbeit mit sich brachte. Während Ex-Mister-Pringle und der Meister (!) Freundschaft schlossen, plagte ich mich mit der Suche nach einem Möbelwagen herum, den mir Mister J schließlich freundlicherweise zur Verfügung stellte. Dankbar und wohlerzogen wie ich nun einmal bin, spendierte ich ihm daraufhin ein Bier und wir plauderten eine halbe Stunde über dies und das. Wobei er mir das ein oder andere nette Kompliment machte, auf das ich nicht näher einging. Tags darauf wurde er zur Furie und schließlich zur eingeschnappten Diva, weil ich meinen Samstagabend lieber mit Ex-Mister-Pringle verbrachte und ihm falsche Hoffnungen gemacht hätte und überhaupt. Ein Freund, dem er sein Herz ausschüttete, meinte zu mir: "Also, so wie der von dir geredet hat, glaubte ich, du hättest im mindestens einen geblasen."
(Mister J hat seit einem Unfall vor fünf Jahren einen Hirnschaden, was vieles, aber auch nicht alles...)
Mister A hat mich zum Essen eingeladen. Mister A ist 55 Jahre alt. Kein Hirnschaden bekannt.
Hatte schon immer eine Schwäche für romantische Überraschungen, und Ex-Mister Pringle fuhr schwere Geschütze auf. Wie wir so in Milch und Honig badeten, uns mit Rosenblüten bewarfen (die ja eine ganz nette Idee sind, im Badewasser aber bald eine labberig-glitschige Algenkonsistenz annehmen) und dazu gekühlten Prosecco tranken, verliebte ich mich zusehends wieder in meinen Ex. Was ja doch nichts nützt, weil er a) noch immer nicht gedenkt, sich eine Arbeit zu suchen und b) ich mich selbst noch nicht genug liebe, um es wieder mit ihm zu versuchen. Schaun mer mal.
Derweil die Mister, die mich sonst so umschwirren, vom Feinsten sind. Die haben sich direkt einen eigenen Eintrag verdient.
Die Pringle-Oldies und Frau Black Mamba helfen fleißig mit, damit die neue Wohnung Gestalt annimmt. Und so dübelte Vati dieses Wochenende die Vorhangstangen in die Wand und schloss die Waschmaschine an, während Mutti mir die Funktionsweise derselben erklärte und Black Mamba mit viel Fingerspitzengefühl den Made-in-China-Vorhang für den Balkon entwirrte. Yours truly schraubte währenddessen Stühle zusammen (Erfolgsquote: 50%, von vier Stühlen waren zwei kaputt. Ich nenne das IKEA-Roulette).
Beim Verlassen der Wohnung begegneten wir dem Typen aus der Wohnung gegenüber. Mutti so: "Wer ist das denn?" Ich so: "Mein Nachbar." Mutti: "Der ist heiß." Ich so: "Ich weiß." Mutti: "Kommt der gerade vom Ausgehen nach Hause?" Ich: "Mama, es ist Sonntag, 16 Uhr." Mutti: "Nicht? Dann ist er eh zu brav für dich."
Vier Tage ohne Internet stellen eine angenehme Auszeit dar. Allerdings nur, wenn man nicht Flug stornieren, Buch lektorieren und arbeiten muss. Da kein Ende der www-losen Zeit in Sicht ist, sitze ich wieder in meinem alten Büro, wo ich zum Glück dringend gebraucht werde. So kann ich die Stornogebühren wieder hereinholen und irgendwann im März zwei Wochen wegfahren. Hoffentlich.
Mister Pringle schwirrt seit Samstag um mich herum und bombardiert mich mit Plänen, wie er mich zurückgewinnen will. Ich verhalte mich wie ein Arschloch, damit er es sich ja gut überlegt. Ansonsten lebe ich aus Kartons, plane eine möglichst effiziente Einrichtung meiner schönen neuen 50-Quadratmeter-Welt und träume vom Sommer.
Der Kontakt zur Außenwelt liegt bei null. Abgesehen von gelegentlichen Mittagessen bei Muttivati lege ich auch absolut keinen Wert auf Gesellschaft, sondern beschäftige mich mit Gossip Girl, John Grant - und vor allem mit mir selbst. Tut gut. Ach, und damit es nicht ausartet, lese ich
dasda.