papachos
In unserer kleinen Welt genießen wir ungestört unsere Wortgefechte, laufen planlos mit demselben debilen Grinsen im Gesicht herum und suchen uns ständig mit immer noch leicht ungläubigen Blicken. Das Tapsen meiner nackten Füße auf dem Küchenboden zaubert ein zufriedenes Lächeln in sein Gesicht, während er noch verschlafen im Bett liegt. Und wenn er verstohlen meine Hand nimmt und mir ein "ich liebe dich" zuflüstert, weil er glaubt, ich schlafe schon, küsse ich seine Finger und glaube zu träumen.
Eindringlinge kapitulieren vor so viel klebrigsüßer Zweisamkeit und beschränken sich auf stummes Staunen und fragende Blicke. Wir haben keine Angst vor der Welt da draußen, aber vielleicht hat sie Angst vor uns. Vor diesem seltsamen Paar, das auf den ersten Blick gar nicht mal so übel zusammenpasst, und bei dem sich erst nach und nach die Frage aufdrängt, woher diese geballte Ladung an liebevollen Zuneigungsbekundungen wohl kommt.
Vielleicht überschütten wir uns deshalb mit all der Liebe, zu der wir fähig sind, weil wir wissen, dass es sonst keiner wagt. Weil wir auf wenig Verständnis stoßen, weil wir das Bild, das wir ständig vor dem Rest der Welt aufrechterhalten müssen, in unseren vier Wänden ganz sicher nicht an die Wand hängen. Weil wir es leid sind vorzugeben, ganz tapfere kleine Krieger zu sein, die nur allein vorankommen, ohne fremde Hilfe und ohne den ganzen Gefühlskram.
Und, ja, natürlich: weil wir impulsiv sind. Im Hier und Jetzt leben und lieben. Weil unsere kleinen Glücksmomente bereits seit Tagen andauern und zu einem großen verschmelzen. Weil wir uns aneinander klammern, wohl wissend, dass wir einander nicht retten können.
Nach so einem Wochenende ist es überhaupt kein Problem um 6 Uhr aufzustehen, um diese Aussicht erst mal in sich aufzusaugen, bevor man sein Ränzlein schnürt und sich auf den Weg ins Büro macht, das 1200 Höhen- und 60 Kilometer weiter weg liegt.
Es gibt verschiedene Arten, die Langeweile der Tage zu bekämpfen, die sich endlos und nur scheinbar gleich in verschiedenen Grauschattierungen aneinander reihen, bis man sie nicht mehr auseinander halten kann.
Man kann sie zum Beispiel ertränken. Das geht eine Weile ganz gut. Während die Sorgen auf der Schaumkrone des Frustbierchens herumdümpeln und sich weigern unterzugehen, sinkt die Langeweile auf den Boden des Glases wie ein kalter Stein. Man kann sie auch verdrängen, oder gleich ganz zerstören. Die Langeweile ist langsam, weshalb man sie auch einfach packen kann und versuchen, sie kurzum zu erwürgen. Nur – wohin mit der Leiche? Ist ja ziemlich unappetitlich, so ein blau angelaufenes Häuflein Tristesse.
Irrational wie ich bin, stelle ich mich ihr einfach und schreie ihr ins Gesicht. Mit mir nicht, du! Woraufhin sie sich schulterzuckend abwendet, noch bevor mir das spöttische Grinsen entgehen kann, das um ihre Mundwinkel spielt. Blöde Kuh.
Also doch davonlaufen. Während ich lustlos meine Sachen packe, fällt sie mir ein, die große Schwester der Langeweile. Grinsend werfe ich dem nunmehr verdutzten faden Stück eine Kusshand zu und mache mich auf den Weg zu ihrer verhassten Verwandten, der Ruhe. Selbstzufrieden und erleichtert klopfe ich – ganz leise natürlich – an ihre Tür. Hm. Niemand da? Ich bemerke einen Zettel auf dem Fußabstreifer. Muss wohl hinuntergefallen sein. Bin umgezogen. Und daneben… ach du Schreck. Die Adresse kenne ich doch. Seufzend ergebe ich mich in mein Schicksal und mache mich erneut auf den Weg zu dieser doch recht seltsam anmutenden WG. Kopfschüttelnd frage ich mich, was die Ruhe wohl dazu bewogen hat, im Haus der Aufregung einzuziehen.
Verwirrt blinzelnd schaue ich mich um. Die Aufregung scheint umgebaut zu haben. An Stelle der kirmesartigen Büdchen mit blinkenden Lichtern und ohrenbetäubender Musik aus zig Lautsprechern ist eine Holzhütte getreten. Rundum friedliches Grün, grasende Kühe und ab und zu das Blöken eines Schafes. Keine Menschenseele lässt sich blicken. Neugierig streune ich ein bisschen über die vom Wind zerzausten Wiesen und lasse mich schließlich in die Hängematte vor dem Haus fallen, in der ich erschöpft und müde vom vielen Nachdenken sofort einschlafe.
Ich brauche eine Weile, bis ich merke, was mich geweckt hat. Zwischen den Bäumen hinter der Holzhütte vernehme ich leises Rascheln, gemurmelte Worte und schließlich ein verhaltenes Kichern.
(to be continued)
Seit Februar hatte ich ihn nicht mehr gesehen, den Meister. Seit wir beschlossen hatten, dass wir wohl doch kein so gutes Paar abgeben und uns unaufgeregt und in aller, hm, Freundschaft? Gleichgültigkei? egal, trennten. Ich, um einmal mit mir selber klar zu kommen, er, um eine Beziehung (!) mit seiner Kellnerkollegin einzugehen. Anscheinend hat er seinen Deckel gefunden, als ich ihn neulich zum ersten Mal wiedertraf, schien er ganz zufrieden. Meine Frage, ob er denn in Urlaub fahre, bejahte er. Wohin? Zuerst seinen Bruder besuchen, und dann in die wunderschöne Slowakei, die Heimat seiner Freundin.
Ich schäme mich meiner Vorurteile ebensowenig wie meiner Schadenfreude, da könnt ihr Kopfstehen. Ja, vielleicht ist sie wirklich in ihn verliebt. Man soll ja nicht immer gleich so schlecht von den Menschen denken.
Trotzdem Tränen gelacht.
...warum nicht Anderen ein bisschen unter die Arme greifen? Eine geschlagene halbe Stunde mit dem Typen von Miss T telefoniert, der sich läppische 300 km entfernt aufhält und vor Eifersucht und Misstrauen vergeht, ihn besänftigt, sie beruhigt, mir ewig lange verliebte Lobeshymnen von beiden Seiten angehört und dankbare Seufzer geerntet.
Na, dann.
Irgendwie hatte ich mich schon damit abgefunden, vom männlichen Geschlecht überhaupt nicht mehr wahrgenommen zu werden. Dieses Wochenende hat mich eines Besseren belehrt.
Zutiefst bewegt und fast den Tränen nahe lächle ich Mister M an. Ich dachte nicht, dass ich sowas noch einmal hören würde in diesem Leben. Und das aus seinem Mund. Ein übermütiges Kichern steigt in mir hoch, ich unterdrücke es schnell, grinse und gehe, nein, schwebe aus dem Büro hinaus, während seine Worte in einer Endlosschleife durch meine endorphingetränkten grauen Zellen schwirren:
"Du musst Urlaub nehmen."